Bestandsbeschreibung
Abt. 17 Wohnungsamt (1918-1933)
Umfang: 67 Archivkartons (= 717 Verzeichnungseinheiten, 11 lfm)
Laufzeit: 1918 - 1933
Vorwort
1. Geschichte, Übernahme, Ordnung und Bedeutung des Bestandes
Die heutige Abt. 17 des Stadtarchivs umfaßt die geschlossene und offenbar durch kei-nerlei
Verluste oder Kassationen beeinträchtigte Überlieferung des städtischen Woh-nungsamtes
für die Zeit seiner Existenz von 1918/19 bis zur Aufhebung der Wohnungs-bewirtschaftung
1933. Die Unterlagen sind offenbar direkt nach dem Abschluß der Tä-tigkeit des Amtes
in das Stadtarchiv gelangt.
Da ein Aktenplan für den Bestand nicht vorlag (nur für einen Teil der Akten läßt sich
eine Registratursignatur feststellen), wurden die Akten nach ihrer im Frühjahr 2001
er-folgten Neuverzeichnung durch Frau Jessica Graichen (Frankenthal, studentische
Prak-tikantin des Stadtarchivs) nach den Aufgaben und vorgefundenen Tätigkeitsfeldern
des Amtes neu gegliedert und eine Klassifikation festgelegt. Die Verzeichnung mit
der Ar-chivsoftware Augias-Data erfolgte im August 2001. Der Bestand wird im Magazin
des Stadtarchivs in 67 Archivkartons gelagert und umfaßt 711 Verzeichnungseinheiten.
Der Zustand der Akten ist im allgemeinen gut; Benutzungsbeschränkungen bestehen keine.
Der Wert der Akten ist für zahlreiche Fragen der Sozial- und Kommunalgeschichte von
Worms für die Zeit der Weimarer Republik als sehr hoch einzuschätzen. Die Akten er-lauben
einen tiefen Einblick in die Lebensverhältnisse breiter Bevölkerungsschichten und
dokumentieren eines der gravierendsten Probleme der Stadt Worms nach dem Er-sten Weltkrieg
(vgl. unter 2).
Bei einem Teil der Akten handelt es sich um Handakten des Beigeordneten für das Wohnungswesen.
Von Oktober 1920 über seine Wiederwahl 1926 bis 1933 amtierte als solcher (unbesoldet)
der Geometer Adam Winkler (geb. 8.5.1868 in Horchheim, gest. 21.10.1945 Worms) .
Die Zeitungen werden wie folgt abgekürzt: WZ Wormser Zeitung, WVZ Wormser Volkszeitung,
WTZ Wormser Tageszeitung.
2. Aufgaben und Tätigkeit des Wohnungsamtes – Zur Bekämp-fung der Wohnungsnot als
kommunaler Aufgabe nach 1918
Die Wohnungsnot gehörte nach dem Ersten Weltkrieg zu den schwierigsten kommuna-len
Problemen. Auch in Worms wurde die Bekämpfung der Wohnungsnot als dringend-ste Aufgabe
der Stadtverwaltung angesehen, wie es Oberbürgermeister Rahn in einem Schreiben von
Januar 1925 im Zusammenhang von Kreditgewährungen ausdrückte . In Hessen hatte es
seit der ersten gesetzliche Regelung der Wohnungsaufsicht (1893) und einer weiteren
Intensivierung der Wohnungsfürsorge (Wohnungsfürsorgegesetz 1902), an der jeweils
Wormser Politiker stark beteiligt waren, trotz aller Unzulänglichkeiten deutliche
Fortschritte in der Wohnungsfrage gegeben. Auch überregional wurden die Erfolge bei
der Wohnraumbeschaffung gewürdigt, die u.a. durch die Förderung gemein-nütziger Bauvereinigungen
erreicht werden konnten. Allerdings war trotz dieser An-strengungen die Wohnungsknappheit
bereits vor 1914 durchaus auch in Worms ein all-gemeines Problem. Für die Stadt charakteristisch
waren die Bemühungen der Fabrikher-ren der Lederindustrie (v.a. die Lederwerke Cornelius
Heyl, Doerr & Reinhart) um An-siedlung 'ihrer' Arbeiter und Arbeiterinnen und die
Förderung des Kleinwohnungsbaus . Seit 1906 trat auch die Stadt durch den Bau von
Wohnungen für städtische Arbeiter (Textor- und Gibichstraße) hervor . All diese Bemühungen
fanden mit dem Ausbruch des Krieges 1914 ein jähes Ende. Bereits zu Beginn des Jahres
1918 wurde in Worms in Presseberichten auf einen zunehmenden Wohnungsmangel aufmerksam
gemacht, der bereits im Frühjahr zu ersten, zaghaften Bemühungen der Stadtverwaltung
geführt hat. Jedoch erst am Ende dieses Jahres offenbarte sich eine völlig neue Dimension
des grundsätzlich vorhersehbaren Problems: Die Rückkehr der Soldaten aus dem Krieg,
ein Rückstand des Wohnungsbaues seit 1914, demographische Faktoren in Gestalt einer
ganz erheblichen Zunahme von Heiraten und Familiengründungen durch geburtenstarke
Jahrgänge sowie die Folgen der französischen Besatzung des Rheinlandes (u.a. umfang-reiche
Beschlagnahmungen von Wohnraum ) führten zu einer katastrophalen Zuspit-zung der Lage.
Da die bisher die Hauptlast der Wohnungsversorgung tragende Lederin-dustrie wegen
der überaus schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse als Faktor des Wohnungsbaues
nahezu vollständig ausfiel, oblag der Stadt plötzlich eine riesenhafte Aufgabe in
einer Zeit, in der die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse alles an-dere
als stabil waren.
Im September 1918 bestellte die Stadtverordnetenversammlung eine neunköpfige Woh-nungskommission
, die im Zuge der Zwangsbewirtschaftung des Wohnraumes für die Zuteilung von Wohnungen
zuständig sein sollte. Dieses Gremium hatte in den folgen-den Jahren eine erhebliche
Aufgabenlast zu bewältigen. Nach einer Verordnung des Bundesrates vom 23.9.1918 über
den Schutz der Mieter und Maßnahmen gegen den Wohnungsmangel folgten weitere entsprechende
Verordnungen, deren Durchführung der Kommission übertragen wurden. Noch vor der Novemberrevolution
(und von den politischen Umwälzungen unbeeinträchtigt), im Oktober 1918, wurde von
den Stadtver-ordneten der erste Beschluß über die Errichtung von Kleinwohnungen, zunächst
in Pfiffligheim (Melanchtonstraße, 20 Wohnungen), gefaßt, dem im Januar 1919 weitere
folgten .
Laut einem Beschluß der Stadtverordnetenversammlung vom 21.1.1919 wurde dann ein städtisches
Wohnungsamt eingerichtet, nachdem sich die bis dahin bestehende Woh-nungsinspektion
als nicht ausreichend erwiesen hatte. Der Dienststelle wurden übertra-gen:
- Aufgaben der Wohnungsaufsicht und –fürsorge nach den gesetzlichen Bestimmun-gen
der Jahre 1893 und 1902
- die Durchführung der (zeitgleich erlassenen) Polizeiverordnung betreffend die Mel-depflicht
über das Vermieten von Wohnungen
- Auskunftserteilung in Wohnungsangelegenheiten
- die Bearbeitung der verschiedenen an die Stadtverwaltung herangetretenen Fragen
wohnungstechnischer und allgemeiner Art.
Das Wohnungsamt war weiterhin zuständig für die Anhörung von Wohnungsuchenden, die
vorstellig wurden für eine der wenigen Neubauten. Regelmäßige Sprechstunden wurden
eingeführt. Die Instandhaltung der Wohnungen, die Durchführung des Reichmietengesetzes
und des Mieterschutzgesetzes gehörte ebenfalls zu den Aufgaben dieses Amtes. Im September
1918 wurde aufgrund der Zwangsbewirtschaftung des Wohnraumes eine zehnköpfige Wohnungskommission
zusammengestellt, die für die Zuteilung von Wohnungen zuständig war. Laut einer Vereinbarung
zwischen Woh-nungsamt und Poststelle war diese Stelle zuständig für eingehenden Anzeigen
über Wegzüge, Umzüge und Zuzüge und die Weiterleitung dieser Angaben an das Woh-nungsamt.
Trotz steigender Zahl der Wohnungsuchenden konnte nur das dringlichste und notwen-digste
geschehen, obwohl die Zahl der Beschäftigten bis 1923 kontinuierlich anstieg (1920:
5 Hilfskräfte, 6 zusätzliche Personen und der Amtsvorstand; 1923: 14 Hilfskräf-te,
15 zusätzliche Personen und der Amtsvorstand). Bis zum Jahr 1931 wurde die Be-schäftigtenzahl
auf 10 reduziert.
Vom Jahre 1919 an wurde dann in rascher Folge die Errichtung weiterer auf Kreditbasis
finanzierter Häuser und Häusergruppen durch die Stadtverordnetenversammlung be-schlossen
. Mit diesen Bemühungen folgte man dem Beispiel benachbarter Städte. So hatte man
in Mainz bereits im Jahre 1917 eine 'GmbH zur Errichtung von Kleinwoh-nungen in der
Stadt Mainz' gebildet, in der die Stadt die Anteilsmehrheit innehatte . Die in den
folgenden Jahren errichteten Häuser befanden sich unter anderem in Pfiffligheim, in
der Gau- und Grenzstraße, vor allem aber im Bereich der Würdtwein-, Stralenberg-,
Thomas- und Schannatstraße. Die systematische Bebauung des sogenannten Liebenauer
Feldes begann im Jahre 1921. Das Quartier Güterhallen-, Gaustraße, Konrad-Meit-Platz,
Johann-Hirt-, Würdtwein-, Stralenberg- und Thomasstraße (1921-1927) ist das städte-baulich
herausragendste, qualitativ hochwertigste und geschlossenste Ergebnis der städ-tischen
Anstrengungen nach 1918 . Bei den durchschnittlich 59 Quadratmeter großen Dreizimmerwohnungen
in der Stralenbergstraße, die unter anderem von städtischen Be-amten bewohnt wurden,
wurde laut einem Vermerk vom August 1926 besonderer Wert auf Güte gelegt, weswegen
hier auch eine höher als sonst bemessene Miete festgelegt wurde .
Parallel zu den eigenen Baubemühungen begann man verstärkt, Baukostenzuschüsse für
private Bauvorhaben zu gewähren. Finanziert wurden die Maßnahmen u.a. mit reichs-seitig
gewährten Krediten sowie mit Unterstützung des hessischen Staates. Verschiede-ne Baugenossenschaften
konnten in geringem Umfang ebenfalls Bauprojekte beginnen. In erster Linie trat hier
die 'Aktiengesellschaft zur Erbauung billiger Wohnungen na-mentlich zum Besten von
Arbeitern in Worms am Rhein' hervor. Sie war 1897 unter maßgeblicher Initiative des
Lederindustriellen und Politikers Freiherrn Cornelius Wil-helm von Heyl gegründet
worden und hatte die Errichtung der Arbeiterwohnhäuser im 'Kiautschau' betrieben.
Bei Kriegsausbruch befanden sich 1914 224 Wohnungen im Ei-gentum der AG, die eng mit
der Stadt verbunden war. Im Jahre 1919 war eine Kapital-erhöhung beschlossen wurde;
es kam danach zum Bau dreistöckiger Häuserblocks (Stralenbergstr. 27-29, Luperkusstr.
17), 1925 und 1927 konnten zwei Vorhaben mit 46 Wohnungen verwirklicht werden . Weitere
Genossenschaften waren die Gemeinnützi-ge Baugenossenschaft, gegr. 1913, die Gemeinnützige
Siedlungsgenossenschaft 'Eigen-heim', die Gemeinnützige Siedlungsgenossenschaft 'Selbsthilfe'
eGmbH, die Gemein-nützige Aktiengesellschaft für Angestellten-Heimstätten und die
Hessische Gemeinnüt-zige Aktiengesellschaft für Kleinwohnungen. Ergänzend hinzu traten
das Reich und der Volksstaat Hessen, die an einigen Stellen der Stadt für ihre Bediensteten
Wohnraum schufen, so Offizierswohnungen am Nibelungenring und an der Hochheimer Straße
so-wie an der Begardistraße .
Flankiert wurden die kommunalen Bestrebungen vom Bemühen des hessischen Staates, die
Bekämpfung der Wohnungsnot zu unterstützen. Auch in den Debatten des Landta-ges spielte
die Lage eine wichtige Rolle. Immerhin waren im Volksstaat 1924 nach einer Erhebung
des Ministeriums für Arbeit und Wirtschaft nicht weniger als 20.000 Familien ohne
Wohnung auf der Suche nach einer Unterkunft, weitere 11.000 Familien waren 'in gesundheitsschädlichen,
menschenunwürdigen oder zum Bewohnen ungeeigneten Räu-men' untergebracht. In etwa
10.000 Fällen waren mehrere Familien in einer Wohnung zusammengedrängt .
Zwischen den Jahren 1923 und 1930 wurde von den Stadtverordneten jährlich ein im-mer
umfangreicher werdendes Wohnungsbauprogramm festgelegt. Laut Einschätzung des Wohnungsamtes
vom August 1924 stand die Arbeit der Wohnungskommission, die neben Mitgliedern der
Stadtverordnetenversammlung auch von ehrenamtlich tätigen Vertretern des Mieterschutzvereins
(er hatte Anfang 1922 mehr als 2000 Mitglieder) und der Hausbesitzer gebildet wurde
und der die Zuteilung des knappen Wohnraums oblag, mehr als irgend eine sonstige Kommission
des Rates im Brennpunkt der öffentli-chen Kritik. Angesichts der überaus angespannten
Verhältnisse erscheint es wenig ver-wunderlich, daß die Beamten des Wohnungsamtes
Beleidigungen und tätlichen Angrif-fen ausgesetzt waren; sie mußten daher unter Polizeischutz
gestellt werden . Im Re-chenschaftsbericht der Stadtverwaltung für das Jahr 1924 (S.
166) heißt es dazu bei-spielsweise: In jeder Sprechstunde gab es Auftritte und Beamtenbeleidigungen
und stärkste Drohungen waren tägliche Erscheinungen, unter denen die Nerven des Beam-tenpersonals
nicht wenig in Anspruch genommen werden. Wenige Monate zuvor, im Oktober 1923, heißt
es in den Akten, das Wohnungselend werde täglich größer, die Lage auf dem Wohnungsmarkt
täglich verzweifelter.
Auch die Presse griff die Verhältnisse häufig genug auf. Stellvertretend sei auf einen
Artikel in der sozialdemokratischen ‚Wormser Volkswacht‘ vom 18.8.1925 verwiesen,
der unter dem Titel 'Wohnungsnot, Wohnungselend, Wohnungsskandal in Worms' die Schwierigkeiten
der Unterbringung Obdachloser anprangert. Von den vor der Vollen-dung stehenden, städtischerseits
errichteten Baracken zur Unterbringung wegen Mie-trückständen oder aus ähnlichen Gründen
aus ihren Wohnungen ausgesetzter Personen links der Mainzer Straße (In den Trumpen,
Kiesgrube) heißt es, der Bau bietet für acht Familien Raum mit je 1 Stube und 1 Küche
mit einer Gesamtfläche von 30-35 qm. Diese 'Abhilfe' wird geradezu als Strafmaßnahme
bezeichnet auf das Schärfste verurteilt. Die Stadt versuchte gegenzusteuern. Allein
im Jahre 1926 wurde für die Würdtwein-, Stra-lenberg- und Schannatstraße ein Bauprogramm
im Umfang von 180 Wohnungen in mehreren Wohnhausgruppen für mehr als zwei Millionen
Reichsmark (Haushalt insge-samt) beschlossen und in der Folgezeit zügig umgesetzt
. Dem Bedarf entsprechend wurden hier vornehmlich Drei- und Vier-Zimmer-Wohnungen
errichtet. Beeindruckend ist aus heutiger Sicht die hohe Qualität der Bauten. Wegen
der 'außerordentlich großen' Kinderzahl wurden neben der Durchfahrt in der Mitte der
Stralenbergstrasse Räume für eine Kleinkinderschule mit Schwesterwohnung vorgesehen.
Im Mai 1927 konnte hier ein vom Evangelischen Missions-Frauenverein betriebener Kindergarten
eingeweiht wer-den.
Im Jahr zuvor, 1926, hatte der Stadtbaumeister (1899-1933) und technische Beigeord-nete
Georg Metzler (1868-1948) eine Zwischenbilanz der städtischen Wohnungspolitik seit
1918 gezogen und dabei zu recht die angesichts der Schwierigkeiten erheblichen Anstrengungen
der Stadt Worms hervorgehoben . Zunächst stellte er heraus, wie un-vorhergesehen die
Kommunen das Problem ereilt habe, die Probleme der Baumaterial-versorgung, der finanziellen
Knappheit werden anschaulich geschildert. Besonders be-tont Metzler anhand von Zahlen
des Deutschen Städtetages den relativ guten Stand des Wohnungsbaues (und hier insbesondere
der kommunalen Bemühungen) in Worms im Vergleich mit den anderen vier großen Städten
im Volksstaat. Auf tausend Einwohner entfielen danach in Worms 5,7 erbaute Wohnungen
(Mainz 4,7; Darmstadt 1,05; Offen-bach 1,7; Gießen 3,8). Der Anteil der von der Stadt
in Angriff genommenen Wohnpro-jekte war gegenüber denen anderer Träger hier vergleichsweise
besonders hoch. Im Blick auf die Zukunft ist der Verfasser skeptisch, ob sich ein
baldiges Ende der Not ein-stellen wird. Zu recht vermutet Metzler, auf die aktive
Rolle der Stadt werde so schnell nicht verzichtet werden können.
Die Angaben in dem Beitrag Metzlers für Worms entstammten vermutlich im Frühjahr 1925
von der Stadtverwaltung ermittelten Zahlen. Laut einer im Mai diesen Jahres er-stellten
Denkschrift über das Wohnungs- und Siedlungswesen ('Bericht über die Wohn-verhältnisse')
lag die Zahl der unerledigten Wohnungsgesuche beim Wohnungsamt bei 2214 - Tendenz
steigend, die Wohnungsnot wird als ganz außerordentlich gross be-zeichnet. Zu diesem
Zeitpunkt bestanden bei einer Einwohnerzahl von 48.500 Men-schen 12.129 Wohnungen.
Berichtet wird auch hier von Tätlichkeiten gegenüber den Beamten. In dem Bericht wird
auch auf die vom 1.1.1919 bis Mai 1925 errichteten 553 neuen Wohnungen hingewiesen;
im überregionalen Vergleich wird die Vorbildlichkeit der in Worms erbrachten städtischen
Leistungen herausgestrichen. Als besondere Pro-bleme wird neben den Folgen der Besatzung
(Beschlagnahmungen) die Betreuung der aus dem besetzten Gebiet Ausgewiesenen und wieder
Zurückgekehrten benannt. Die Lösung dieses Problems habe die Verwaltung ein Jahr zurückgeworfen.
Zugleich galt es, die wegen Räumungsklagen obdachlos gewordenen Mieter unterzubringen.
Wie schwierig die zu bewältigenden Aufgaben waren, zeigt auch ein angesichts der Festlegung
der Wohnungsbauvorhaben für das Jahr 1929 zusammengestellter Bericht zur Situation
auf dem Wohnungsmarkt nach dem Stand vom 1.11.1928. Nach wie vor fehlten nach Berechungen
des Wohnungsamtes nicht weniger als 1168 Wohnungen . Ende 1927 waren noch immer 2582
Wohnungsuchende in den Akten und Karteien der Stadt vermerkt - dies trotz eines in
diesem Jahr erreichten Zuwachses von immerhin 260 Wohnungen (fast alle städtische
Objekte). Das Bauprogramm für 149 Wohnungen sollte durch Zuweisungen aus einer staatlicherseits
eigens dazu eingeführten, den Städten zu-gewiesenen Sondersteuer (Hauszins- bzw. Sondergebäudesteuer)
sowie durch Darlehen der Städtischen Sparkasse - zusammen 1,75 Mio RM - finanziert
werden; erhofft hatte man sich wesentlich mehr. Diese Summe muß im Verhältnis zum
Gesamtumfang des städtischen Etats gesehen werden, dessen Ausgabevolumen für das Haushaltsjahr
1927 20,6 Millionen Reichsmark betrug . Neben dem reinen Wohnungsbau und den Mitteln
für die Gewährung von Darlehen (die auch 1927 längst nicht ausreichten, um die starke
Nachfrage zu befriedigen), schlug auch die Beschaffung von Baugelände als Ersatz für
das bebaute Land zu Buche - im Jahre 1927 mit immerhin 850.000 Reichsmark. In Mainz
(1926 mit 108.000 Einwohnern) nahm die Stadt in den Jahren 1924 bis 1931 allein für
den Wohnungsbau 27, 6 Millionen RM und zum Ankauf von Grundstücken und Gebäuden weitere
13,5 Millionen RM an Reichsdarlehen auf.
Abgesehen von dem erwähnten großen Baugebiet im Bereich Neuhausen kam es in Worms-Hochheim
(Römergarten mit Einfamilien-Kleinhäusern, vgl. Abb. 1, 1927/28) und im Bereich der
Innenstadt (Torturmplatz/Ludwigstraße, Karolingerstraße 7-9, hier Bezug der 24 Wohnungen
im Mai 1928) zu weiteren Baumaßnahmen. Neben den 're-gulären' Wohnbauten zwang die
Situation aber auch zum Bau der schon erwähnten ba-rackenartigen Notwohnungen in der
sogenannten 'Nordsiedlung' (In den Trumpen, Kies-straße etc.), die in den Jahren 1925
bis 1928 errichtet wurden, z. T. in Form zu Wohn-zwecken umgebauter Eisenbahnwagen
IV. Klasse (1927). Nach dem Abzug der franzö-sischen Besatzung Ende Juni 1930 wurden
auch Teile der freigewordenen Kaserne für Wohnzwecke hergerichtet (1931/32).
Das letzte reguläre Bauprogramm des Jahres 1930 stand bereits im Zeichen der Aus-wirkungen
der Weltwirtschaftskrise. Die Zuspitzung der finanziellen Verhältnisse ließ eine Fortführung
der umfangreichen Programme trotz zweifellos vorhandenen Bedarfs nicht mehr zu. Die
Stadt versuchte, wie auch in Mainz, das Problem mit der Förderung vorstädtischer Kleinsiedlungen
zu entschärfen. Da es nicht mehr möglich sei, Kapitalien für die Erbauung grosser
städtischer Miethäuser zu beschaffen, sollte auf diese Weise mit geringeren Mitteln
den künftigen Siedlern eine Siedlungsstelle zur Verfügung ge-stellt werden, die diese
selbst zu bebauen hätten. Eine solche Initiative wurde in Worms laut einem Schreiben
der Bürgermeisterei im August 1932, auf dem Höhepunkt der Kri-se, angestoßen. Im Laufe
des Jahres hatte die Stadt mit staatlichen Stellen wegen ent-sprechender Mittelzuweisungen
verhandelt, konnte jedoch nicht mehr als Kredite für 30 Stellen erlangen. Hier lag
der Keim für die spätere Stadtrand- bzw. Karl-Marx-Siedlung, die aus den 1932 skizzierten
Plänen für Kleinsiedlerhäuser hervorgegangen ist.
Die Tätigkeit des Wohnungsamtes endete mit dem Auslaufen der Zwangsbewirtschaf-tung
von Wohnraum im Frühjahr 1933.
3. Weiterführende Literatur
- Bönnen, Gerold, Zum kommunalen Wohnungsbau in Worms in der Zeit der Weimarer Republik,
in: 50 Jahre Wohnungsbau GmbH Worms (1950-2000), Worms 2000, S. 5-20.
- Brüchert-Schunk, Hedwig, Städtische Sozialpolitik vom Wilhelminischen Reich bis
zur Weltwirtschaftskrise. Eine sozial- und kommunalhistorische Untersuchung am Bei-spiel
der Stadt Mainz 1890-1930, Stuttgart 1994 (Geschichtliche Landeskunde 41)
- Franz, Eckhart G./Manfred Köhler (Hg.), Parlament im Kampf um die Demokratie. Der
Landtag des Volksstaates Hessen 1919-1933, Darmstadt 1991 (Arbeiten der Hessi-schen
Historischen Kommission NF 6 = Vorgeschichte und Geschichte des Parlamenta-rismus
in Hessen 6)
- Metzler, Gerog, Das Wohnungswesen in Worms, in: 150 Jahre Wormser Zeitung (1776-1926),
S. 84-87
- Reuter, Fritz, Karl Hofmann und 'das neue Worms'. Kommunalbau und Stadtentwick-lung
1882-1918, Marburg/Darmstadt 1993 (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte
91)
- Spille, Irene (Bearb.), Stadt Worms (Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutsch-land.
Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz 10), Worms 1992
- Süss, Martin, Rheinhessen unter französischer Besatzung. Vom Waffenstillstand im
November 1918 bis zum Ende der Separatistenunruhen im Februar 1924, Stuttgart 1988
(Geschichtliche Landeskunde 31)
- Verwaltungs-Rechenschaft des Oberbürgermeisters der Stadt Worms (für die Jahre 1924
bis 1928)
4. Ergänzendes Archivmaterial (Auswahl)
Stadtarchiv Worms
Abt. 13 Nr. 1921-1925 (Wohnungsfürsorge), vgl. masch. Findbuch S. 162f. (Abt. XXIV.6)
Abt. 30 (Kreisamt Worms) Nr. 207 (Einzelfälle)
Abt. 5 Nr. 4415 (Bericht über die Wohnungsverhältnisse); Nr. 4387 (Bericht über die
Wohnungsnot an das Hessische Ministerium für Arbeit und Wirtschaft, 1922)