Umfang:
30 Kartons Akten (K 1315-1339), 1 Buch
Provenienz:
Landeshauptmannschaft Niederdonau, Dienststelle für Vermögensverkehr
Der Reichsstatthalter in Niederdonau (staatliche Verwaltung), Sonderdezernat IVd-8
Bestandsschwerpunkte:
Arisierung, Entjudung, Vermögensentzug, Juden und Jüdinnen, Vertreibung, Auswanderung,
Eigentum
Rechtsgrundlagen:
Der Reichsstatthalter in Niederdonau (staatliche Verwaltung), Landesamt I/1a, Zl.
466/133 vom 24. Mai 1940. Mit diesem Schreiben übermittelte der Reichsstatthalter
den neuen Geschäftsverteilungsplan seiner Behörde. Die Unterabteilung IVd war für
Wirtschaft, Arbeit und Verkehr zuständig. Sie war in acht Dezernate (IVd-1 bis IVd-7
sowie das Sonderdezernat IVd-8) gegliedert und stand unter der Leitung von Dr. Josef
Radetzky in Wien 1., Bankgasse 2. Das Sonderdezernat IVd-8 war für die so genannte
"Entjudung" des nichtlandwirtschaftlichen und nichtforstwirtschaftlichen Grundbesitzes
sowie vorerst auch für die Sachschadenfeststellung zuständig. Nachdem es zunächst
Franz Melcher unterstanden hatte, fungierte spätestens seit Mitte 1940 Dr. Paul Hönigl
in Wien 1., Freyung 1, als Leiter.
Der Reichsstatthalter in Niederdonau (staatliche Verwaltung), Dezernat Ia-10, Zl.
233/176 vom 16. Juni 1941. In diesem Schreiben des Reichsstatthalters an die Abteilungsleiter
wurde die weitere Bearbeitung der Sachschädenfeststellung dem Leiter des Dezernates
Z-5, Franz Melcher, zugewiesen.
-) Gesetzblatt für das Land Österreich Nr. 103/26. April 1938, Kundmachung des Reichsstatthalters
in Österreich, wodurch die Anordnung des Beauftragten für den Vierjahresplan auf Grund
der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26. April 1938 bekannt
gemacht wird. Mittels der Vermögensverzeichnisse trachtete das NS-Regime einen ersten
Überblick über Ausmaß und Zusammensetzung des gesamten in- und ausländischen Vermögens
von Juden und Jüdinnen in Österreich zu erlangen. Anmeldepflichtig waren sämtliche
inländische Personen in Niederösterreich, die nach den "Nürnberger Rassengesetzen"
von 1935 als Juden galten oder mit Juden oder Jüdinnen verheiratet waren und deren
Vermögen im In- und Ausland den Betrag von 5000 Reichsmark (das waren damals 7500
öS) überstieg. Die Anmeldung hatte nach einer Verlängerung der Frist bis spätestens
31. Juli 1938 zu erfolgen. Die Unterlassung der Anmeldung oder Falschangaben waren
unter strenge Strafe gestellt; an Sanktionen wurden Geldstrafen, Gefängnis, aber auch
Einziehung des Vermögens angedroht.
-) Gesetzblatt für das Land Österreich Nr. 150/27. Mai 1938, Kundmachung des Reichsstatthalters
in Österreich, wodurch die Verordnung über die Einführung der Nürnberger Rassengesetze
im Lande Österreich vom 20. Mai 1938 bekannt gemacht wird.
-) Gesetzblatt für das Land Österreich Nr. 633/6. Dezember 1938, Kundmachung des Reichsstatthalters
in Österreich, wodurch die Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom
3. Dezember 1938 bekannt gemacht wird. Die so genannte "Einsatzverordnung" regelte
die Zwangsveräußerung oder Zwangsliquidierung jüdischen Besitzes und bedeutete eine
wesentliche Verschärfung der "Arisierungsgesetzgebung". Sie ermöglichte es, Juden
den Auftrag zu erteilen, ihr Vermögen innerhalb sehr kurzer Fristen (oft nur zwei
Wochen) zu veräußern. Im Weigerungsfall konnte nunmehr ein Treuhänder eingesetzt werden,
welcher den Verkauf in die Wege leitete. Darüber hinaus verfügte die "Einsatzverordnung"
auch die Abtrennung der "Arisierung" im Bereich der Land- und Forstwirtschaft von
der "Entjudung" der übrigen Wirtschaftsbereiche. Zuständig war damit nicht mehr die
Vermögensverkehrsstelle, sondern die Obere Siedlungsbehörde im Ministerium für Landwirtschaft.
-) Gesetzblatt für das Land Österreich Nr. 500/21. April 1939, Kundmachung des Reichsstatthalters
in Österreich, wodurch das Gesetz über den Aufbau der Verwaltung in der Ostmark (Ostmarkgesetz)
vom 14. April 1939 bekannt gemacht wird. Dieses Gesetz trat schrittweise in Kraft
und war erst mit dem 1. April 1940 vollends umgesetzt worden. Es bewirkte die endgültige
Beseitigung Österreichs als eigenständiges Rechtssubjekt und schuf die Grundlage für
die Überleitung der Kompetenzen der österreichischen Zentralbehörden (der Ministerien)
auf die Reichsstatthalter der jeweiligen Reichsgaue sowie auch auf die Reichsbehörden
in Berlin. Auch die zentrale Vermögensverkehrsstelle in Wien gab nun ihre Kompetenzen
an die Reichsgaue ab.
-) Gesetzblatt für das Land Österreich Nr. 1426, Anordnung über die Regelung der Zuständigkeit
im Entjudungsverfahren in der Ostmark vom 15. November 1939. Die weitere Durchführung
der "Arisierung" in Niederdonau wurde nun zur Gänze dem Reichsstatthalter übertragen.
Die Niederdonau betreffenden Vermögensanmeldungen wurden der bei der Landeshauptmannschaft
Niederdonau eingerichteten "Dienststelle für Vermögensverkehr" abgetreten, und deren
Agenden wurden im Frühjahr 1940 vom neu geschaffenen Sonderdezernat IVd-8 übernommen.
-) Reichsgesetzblatt, Teil I, Nr. 133/26. November 1941, Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz
vom 25.11.1941. Diese Bestimmung bedeutete eine abermalige Radikalisierung der "Entjudungsvorgänge".
Sie besagte, dass das Vermögen sämtlicher Juden deutscher Staatsangehörigkeit, die
ins Ausland geflohen oder in die Konzentrationslager und Ghettos in den besetzten
Gebieten deportiert worden waren, zugunsten des Deutschen Reichs verfällt. Für diese
"Arisierungsfälle" waren nun nicht mehr die "Arisierungsbehörden" bei den jeweiligen
Reichsstatthaltern zuständig (in Niederdonau: Obere Siedlungsbehörde, Sonderdezernat
IVd-8), sondern die jeweiligen Oberfinanzpräsidenten (in Niederdonau: der Oberfinanzpräsident
Wien-Niederdonau).
-) Reichsgesetzblatt, Teil I, Nr. 64/2. Juli 1943, Dreizehnte Verordnung zum Reichsbürgergesetz
vom 1. Juli 1943. Diese Verordnung bestimmte u.a., dass das gesamte Vermögen von Juden
und Jüdinnen nach deren Tod an das Deutsche Reich verfiel und legalisierte den totalen
Vermögensentzug der jüdischen Bevölkerung, die sich allenfalls noch im Deutschen Reich
befand.
Bestandsgeschichte:
Der Bestand wurde dem NÖ Landesarchiv 1989 von der Zentralregistratur des Amtes der
NÖ Landesregierung übergeben.
Bestandsbeschreibung:
Der Bestand umfasst die Vermögensanmeldungen von knapp über 3.000 Personen. Nicht
alle Anmeldungen stammen jedoch aus Niederösterreich. Enthalten sind auch die Vermögensanmeldungen
aus den zum Reichsgau Niederdonau zählenden südmährischen Landkreisen (Neubistritz,
Znaim und Nikolsburg), teils auch aus den dem Gau Groß-Wien zugeschlagenen ehemals
niederösterreichischen Randgemeinden sowie überraschenderweise auch Anmeldungen aus
Tirol und teils aus Vorarlberg, relativ zahlreich auch aus Brünn, vereinzelt auch
aus Prag. Aus dem Nordburgenland finden sich dagegen kaum Akten. Anmeldungen vorgenommen
haben überdies auch Personen, deren Vermögen unter der gesetzlich definierten Grenze
von 5.000 Reichsmark lag. Laut Walter Baumgartner und Robert Streibel, die u.a. die
Vermögensanmeldungen von 12 niederösterreichischen Städten untersucht haben (Juden
in Niederösterreich, 2004, S. 22), stammten mehr als ein Fünftel der Anmeldungen von
Personen, die gar nicht anmeldepflichtig gewesen seien.
Die Akten des Bestandes "Vermögensanmeldungen" sind nach den Familiennamen der Anmeldenden
alphabetisch geordnet. Ein eigenes Ortsverzeichnis existiert nicht, jedoch sind in
einem Nachschlagebuch neben den Namen auch die Wohnorte der Anmeldenden verzeichnet.
Um etwa alle Namen der ihr Vermögen anmeldenden Juden einer bestimmten Ortschaft zu
eruieren, muss daher das gesamte Nachschlagebuch durchgesehen werden.
Die Akten bestehen aus den ausgefüllten Formularen, denen vielfach verschiedene Zusatzblätter
angefügt wurden. Die Formulare selbst enthalten einige wenige biographische Eckdaten
über die Person der Anmeldenden, vor allem aber Informationen über deren Vermögen,
gegliedert nach (I.) Land- und Forstwirtschaft, (II.) Grundvermögen, (III.) Betriebsvermögen,
(IV.) sonstiges Vermögen, insbesondere Kapitalvermögen, sowie (V.) Abzugsposten vom
Vermögen, soweit sie nicht das Betriebsvermögen betrafen. Die Zusatzblätter umfassen
zumeist detailliertere Aufstellungen der einzelnen Vermögensangaben, Schuldner- und
Gläubigerverzeichnisse, Anzeigen über Veränderungen des Vermögens in der Zeit nach
der Anmeldung, Angaben über den Aufenthaltsort nach der Vertreibung u.a.m.
Quellenkritisch ist zu ergänzen, dass die Angaben in den Anmeldungen keine zuverlässigen
Rückschlüsse auf die tatsächlichen Vermögensverhältnisse der jüdischen Bevölkerung
in Niederösterreich zulassen. Obwohl Falschangaben unter Strafe gestellt waren, sind
vor dem Hintergrund der Unkenntnis über den Zweck dieser Vermögensanmeldungen unvollständige
oder auch überhöhte Angaben in den Anmeldungen nicht auszuschließen.
Neben den Vermögensanmeldungen verwaltete und produzierte das Sonderdezernat IVd-8
auch noch die so genannten "Arisierungsakten". Diese wurden nach dem Zusammenbruch
der NS-Herrschaft von dem für Rückstellungen zuständigen Landesamt IX/5 aufgearbeitet
und geordnet und finden sich daher unter Punkt 03. Amt der NÖ Landesregierung und
Landtag ab 1945.
Findmittel:
Nachschlagebuch
Zitat: NÖ Landesarchiv (NÖLA), Der Reichsstatthalter in Niederdonau (RStH ND) (staatliche
Verwaltung), Sonderdezernat IVd-8, Vermögensanmeldung von Name, Wohnort, vom Datum.
Literatur:
Christoph Lind, "Der letzte Jude hat den Tempel verlassen". Juden in Niederösterreich
1938-1945, Wien 2004.
Walter Baumgartner, Robert Streibel, Juden in Niederösterreich. "Arisierungen" und
Rückstellungen in den Städten Amstetten, Baden, Hollabrunn, Horn, Korneuburg, Krems,
Neunkirchen, St. Pölten, Stockerau, Tulln, Waidhofen an der Thaya und Wiener Neustadt,
Wien/München 2004 (Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug
während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich;
Bd. 18)
Stefan Eminger, im August 2010
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