362 Kartons (K 1340-1702), KEINE Bücher
Bestandsschwerpunkte:
Land- und Forstwirtschaft, NS-Zeit, Betriebe, Bauern, Wirtschaftsverhältnisse, Schuldenstand,
Gläubiger
Rechtsgrundlagen:
Gesetzblatt für das Land Österreich Nr. 130/5. Mai 1938, Verordnung über die Entschuldung
der Landwirtschaft im Lande Österreich. Entgegen einem weit verbreiteten Missverständnis,
handelte es sich bei der "Entschuldung" nicht um einen Schuldenerlass für die arg
verschuldete Bauernschaft, sondern bloß um eine Umschuldung. Die Betriebsinhaber,
welche an der "Entschuldungsaktion" teilnahmen, waren dadurch nicht mehr bei ihren
ursprünglichen Gläubigern, sondern beim Staat verschuldet. Der Nutzen für die Bauern
bestand darin, dass die Schulden nun langfristig und an die Leistungsfähigkeit ihrer
Betriebe angepasst zurückgezahlt werden konnten. Verbunden damit war auch ein Schutz
vor allfälliger Zwangsexekution. "Entschuldungswilligen" Bauern wurden im Zuge der
so genannten "Aufbauaktion" auch Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden mussten,
und mit nur 2 Prozent verzinsliche Darlehen aus Reichsmitteln gewährt, um ihre Betriebe
wieder in Gang zu bringen. Verbunden mit diesen Fördermaßnahmen war aber ein erheblicher
Nachteil für die Bauern. Wer sich darauf einließ, musste akzeptieren, dass sich der
NS-Staat durch die Landstelle massiv in seine Betriebsführung einmischte. Die Wirtschaftsautonomie
des bäuerlichen Betriebes war dadurch de facto beseitigt.
Gesetzblatt für das Land Österreich Nr. 500/21. April 1939, Kundmachung des Reichsstatthalters
in Österreich, wodurch das Gesetz über den Aufbau der Verwaltung in der Ostmark (Ostmarkgesetz)
vom 14. April 1939 bekannt gemacht wird. Dieses Gesetz trat schrittweise in Kraft
und war erst mit dem 1. April 1940 vollends umgesetzt worden. Es bewirkte die endgültige
Beseitigung Österreichs als eigenständiges Rechtssubjekt und schuf die Grundlage für
die Überleitung der Kompetenzen der österreichi-schen Zentralbehörden (der Ministerien)
auf die Reichsstatthalter der jeweiligen Reichsgaue sowie auch auf die Reichsbehörden
in Berlin.
Bestandsgeschichte:
Die Landstelle Wien wurde im Frühjahr 1938 errichtet und war zunächst dem Ministerium
für Landwirtschaft für Wien unterstellt. Sie war für die Länder Wien und Niederösterreich
zuständig. Nach der Auflösung der Landstelle Wien im Zuge des Inkrafttretens des Ostmarkgesetzes
1940 wurde diese Behörde dem Reichsstatthalter für Niederdonau an- und ab 1. Juli
1943 eingegliedert (NÖLA, RStH ND, Abt. Ia-1, Zl. 223/1943). Die Landstelle Wien bildete
seither eine selbständige Unterabteilung der Abteilung IV der Behörde des Reichsstatthalters
und führte die Bezeichnung "Der RStH in Niederdonau, Abt. IV f Landstelle Wien". Die
Agenden der Landstelle wurden nach 1945 in der Abt. VI/12 des Amtes der NÖ Landesregierung
weitergeführt. Die letzten offenen Akten wurden in den 1980er Jahren geschlossen.
Der Bestand wurde 1989 von der Zentralregistratur des Amtes der NÖ Landesregierung
an das NÖ Landesarchiv abgetreten.
Bestandsbeschreibung: Der umfangreiche Bestand umfasst sämtliche Betriebe, die sich
an der "Entschuldungs"- und "Aufbauaktion" des NS-Staates in Niederösterreich beteiligt
hatten. Formal handelt es um einen sehr homogenen Bestand, der pro Betrieb nach einem
einheitlichen Schema aufgebaut ist.
Inhaltlich geben die Akten nicht nur Auskunft über die Gläubiger, sowie Art und Ausmaß
der Verschuldung. Besonders hinzuweisen ist auf die jeweils neun Seiten langen "Berichte
über die Betriebsbesichtigung und die Überprüfung der Leistungsfähigkeit" der einzelnen
Betriebe. Sie liefern detaillierte Informationen über die Struktur und Wirtschaftsweise
der erfassten Betriebe. Enthalten sind darin Angaben über Eigentümer und deren Arbeitskräfte,
über Betriebsgröße, Bodennutzung, klimatische und Bodenverhältnisse, Viehstand und
Verkaufserlöse oder Daten zur materiellen Ausstattung der Betriebe.
Der Bestand ist mit geringfügigen Ausnahmen nach Landkreisen der NS-Zeit (heute Bezirkshauptmannschaften)
gegliedert. Innerhalb der Kreise erfolgt die Unterteilung nach Amtsgerichtsbezirken
(heute Bezirksgerichte) und innerhalb dieser nach Ortsgemeinden, und zwar im Wesentlichen
entsprechend der Gebietsgliederung von 1937. Das heißt erstens, dass die Akten der
Randgemeinden von Groß-Wien, die offenbar nach 1945 übernommen wurden, dem Bestand
angegliedert sind, und zwar inklusive jener 17 Gemeinden, die bei der Rückgliederung
1954 bei Wien verblieben sind. Zweitens heißt das, dass die entsprechenden Materialien
des Nordburgenlandes fehlen (ausgenommen jene der Gemeinde Neudörfl, welche damals
zum Kreis Wr. Neustadt zählte). Sie wurden nach 1945 an das Burgenländische Landesarchiv
in Eisenstadt abgetreten. Und drittens bedeutet das, dass die "Entschuldungs- und
Aufbauakten" der südmährischen Landkreise des ehemaligen Reichsgaus Niederdonau fehlen.
Findmittel: Verzeichnis Nr. 50a
Zitat: NÖ Landesarchiv (NÖLA), Amt der NÖ Landesregierung (Amt NÖLReg), Landesamt
(L.A.) VI/12, Aktenzahl.
Literatur: August Lombar, Entschuldung und Aufbau der österreichischen Landwirtschaft,
Klagenfurt 1953.
Ernst Langthaler, "Entschuldung" und "Aufbau" im "Ahnengau". Nationalsozialistische
Agrarkreditpolitik in Niederdonau 1938-1945. In: Willibald Rosner, Reinelde Motz-Linhart
(Hg.), Forschungen zur NS-Zeit in Niederösterreich 1938 - 1945. Die Vorträge der Kurztagung
des NÖ Instituts für Landeskunde, St. Pölten, 13. November 2001, sowie weitere Beiträge
zur Zeitgeschichte aus den Jahren 2001 bis 2006, St. Pölten 2007 (Studien und Forschungen
aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde; Bd. 43), S. 151-182.